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Samuel: „Mein persönlicher Weg beweist, dass es nicht immer nur A oder B gibt, sondern sich A und B manchmal auch hervorragend kombinieren lassen und man sich als Pinguin in der Wüste auch selbst einen Zugang zum Meer legen kann.“

Studienkollegs-Alumnus Samuel Breuer kehrt der Schule den Rücken, um sich voll auf die Musik zu konzentrieren.

Der ehemalige Teilnehmer unseres Studienkollegs Samuel Breuer arbeitete nach seinem Studium mehrere Jahre als Lehrkraft und ging zeitgleich immer seiner Leidenschaft, der Musik, nach. Nun hat er beschlossen, der Schule den Rücken zu kehren und seine Berufung gänzlich zum Beruf zu machen. Wie sein Weg bis dahin aussah, lest ihr im folgenden Interview.

 

sdw: Lieber Samuel, du schreibst u. a. bei Instagram, dass du seit 2013 zwei Leben gleichzeitig führtest. Magst du das näher beschreiben?

Samuel: 2013 habe ich zeitgleich angefangen auf Lehramt zu studieren und öffentlich Konzerte zu spielen. Ich war davon überzeugt, dass es eine gute Idee sei und vor allem auch möglich - zwei Leben gleichzeitig zu führen. 

Während meine Kommilitonen also auf Ersti-Veranstaltungen oder WG-Partys waren, habe ich mich mit meiner Gitarre durch Wohnzimmer, Bars und Clubs gespielt und mit Liedern meine Geschichte erzählt. Diesen Parallelweg habe ich bis zu meiner Masterarbeit durchgezogen. Da bin ich dann das erste Mal in eine große Erschöpfung und Depression gerannt und habe mich für ein paar Jahre von der Bühne zurückgezogen. Für drei Jahre habe ich dann an der ESBZ in Berlin unterrichtet. Hinter den Kulissen habe ich aber weiterhin sehr viele Songs geschrieben, mir eine neue Band zusammengestellt und während Corona zwei Studioalben aufgenommen. Die Musik hat mehr und mehr Zeit eingenommen und mehr und mehr Organisations-Kapazität benötigt, die aber vollkommen von der Schule besetzt war. Langsam habe ich gespürt, dass es so nicht mehr weitergehen kann.
 

sdw: Was war der ausschlaggebende Moment, um etwas in deinem Leben zu ändern? Was hat dich konkret bewogen, das System Schule zu verlassen?

Samuel: Der ausschlaggebende Moment war, als meine Kollegin nach einer Konferenz auf mich zugekommen ist und mir gesagt hat: „Samuel, jedes Mal, wenn ich dich hier sehe habe ich den Eindruck, dass ein Teil von dir stirbt.“ Damit hatte sie den Nagel auf den Kopf getroffen und mir offenbart, dass ich mein Künstler-Ich in der Schule zu sehr unterdrücken musste, was mich im letzten Jahr in eine erneute Depression brachte. Ich habe als Lehrer quartalsmäßig anonymes Unterrichts-Feedback meiner Schülerinnen und Schüler eingeholt und plötzlich erschienen dort immer mehr Aussagen wie: „Herr Breuer, sie sind immer gestresst und das wirkt sich negativ auf unsere Unterrichtsatmosphäre aus.“ Das war ein weiterer Moment der mir gezeigt hat, dass ich der Schule nicht mehr gerecht werde und es für mich Zeit ist, zu gehen. Hinzu kam meine Hochsensibilität, mit der ich zwar super den Raum lesen und Schülerinnen und Schülern Empathie entgegenbringen kann, durch die ich aber in der Geräuschkulisse einer Schule voller pubertierender Jugendlichen und Jugendlicher eher ein Pinguin in der Wüste war.

 

sdw: Als Lehramtsstudierender nahmst du am Studienkolleg teil? Was hast du aus der Förderung für dich mitgenommen?

Samuel: Die Förderung des Studienkollegs war für mein Leben enorm wichtig. Ich habe durch einige wunderbare Seminare und Akademien gelernt, wie ich in der Schule die Schülerinnen und Schüler in den Mittelpunkt stellen kann und das marode System Schule neu denken lernen kann. Ich habe gelernt wo die Schwachstellen des Systems sind und diese für mich so zu nutzen, dass ich den Schülerinnen und Schüler den größtmöglichen persönlichen Mehrwert bieten kann. Vor allem die Weiterbildung zum Lehrer für das Schulfach Glück hat mich persönlich geprägt und dessen Inhalt trägt mich bis heute durch Krisen. Außerdem habe ich neue Ecken in Deutschland kennengelernt, immer gut gegessen und einige Freundschaften geschlossen, die schon jahrelang Bestand haben. Ich wusste schon immer, dass ich zu sehr Steinchen im Getriebe bin, als dass ich an einer Regelschule hätte glücklich sein können. Durch das Studienkolleg habe ich gelernt, dass das okay UND GUT ist, Schule neu zu gestalten und habe praktische Lösungsansätze und Werkzeuge an die Hand bekommen.


sdw: Welche positiven Erlebnisse nimmst du aus der Zeit als Teilzeitlehrer mit?

Samuel: Das Gefühl, Teil von etwas Größerem zu sein und einen täglichen Ort der Zugehörigkeit zu haben waren für mich sehr wertvoll. Als der Lockdown kam, habe ich mit einem Kollegen vom ersten Tag an täglich den Podcast „ESBZ on Air“ produziert, der uns als Schulgemeinschaft durch den Krisenstart getragen hat, weil die Schülerinnen und Schüler den Podcast durch viele eigene Beiträge mitgestaltet haben. Wir haben so viele positive Rückmeldungen bekommen, dass Familien den Podcast gemeinsam am Frühstückstisch hören und er sie durch den Tag begleitet, das war einfach wundervoll! 

Außerdem bin ich sehr dankbar, einige Schülerinnen und Schüler in ihrem musikalischen Werdegang ermutigt und gefördert haben zu können, weil ich die Möglichkeit hatte in sogenannten LAK-Tagen (Lern- und Arbeitskompetenz) Songwriting-Workshops zu geben. Dafür ist eine offene Schulstruktur wie an der ESBZ großartig.


sdw: Hast du einen Rat für Personen, die vor einer ähnlichen Zerreißprobe oder Entscheidung im Leben stehen?

Samuel: Bei Einzel-Coachings im Rahmen einer Studienkollegs-Akademie klagte ich schon damals mein Leid, dass ich den Eindruck hatte, mich auf dem zweigleisigen Weg zu verlieren. Der Coach gab mir den Rat, so lange beides zu machen, bis meine Musik (die schon seit der Kindheit meine größte Leidenschaft war) so weit gewachsen ist, dass ich es mir leisten kann, die Schule hinter mir zu lassen. Tatsächlich habe ich aber einen Weg gefunden, beide Tätigkeiten für mich so zu kombinieren, dass sie mich und andere glücklicher machen als zuvor. Meine Zeit in der Schule hat mich gelehrt, dass eins zu eins-Situationen meine Spezialität sind und dass ich statt Englisch und Geographie am liebsten über kreative Themen nachdenke (ich gebe zu - das wusste ich schon im ersten Semester). Deshalb bin ich neben meinem eigenen Künstlerprojekt heute Kreativitäts- und Songwritingcoach und unterstütze Menschen dabei, ihren eigenen Weg zu gehen und ihr Potenzial zu entfalten.

Selbstaufgabe ist dauerhaft keine gesunde Option. Mein persönlicher Weg beweist, dass es nicht immer nur A oder B gibt, sondern sich A und B manchmal auch hervorragend kombinieren lassen und man sich als Pinguin in der Wüste auch selbst einen Zugang zum Meer legen kann. 

 

Gibt es einen Song, der deine jetzige Lebenssituation treffend beschreibt?

Samuel: Mein neuer Song  „Gold"  ist eine Hymne an den Zerbruch und eine Ermutigung dahingehend, die Schönheit in den Scherben zu finden: „Denn Wahrheit ist gerecht und das was über bleibt ist echt!“

Mehr zu Samuel Breuer und seiner Musik, die aktuellen Tourdaten & Tickets gibt es online auf: https://www.samuelbreuer.de/

 

sdw: Lieber Samuel, vielen Dank für das Teilen deiner Geschichte. Wir wünschen dir für deinen weiteren Weg alles Gute!


Samuel Breuer sitzt auf einer Couch
Foto: Daniel Rupp
Samuel spielt Gitarre
Foto: Christoph Rücker