sdWerte – Die Geschichten unserer Geförderten, Alumnae, Alumni, Mentorinnen und Mentoren
Geschichten aus 30 Jahren sdw: Maximilian Stoller
„Die sdw war ein Wegweiser zur richtigen Zeit und hat mir auf meinem Lebensweg unzählige wertvolle Impulse gegeben!“ Das sagt Maximilian Stoller rückblickend über seine Förderzeit. Er war Teilnehmer des ersten Jahrgangs unseres Studienkollegs für Lehramtsstudierende, von September 2007 bis Juli 2009. Im Interview erzählt uns der heutige Lehrer, Medienpädagoge, wissenschaftliche Mitarbeiter und Doktorand, was ihn während seines Stipendiums besonders beeindruckt und was ihn bis heute geprägt hat. Zudem sprechen wir mit ihm über zeitgemäßes Unterrichten in einer Kultur der Digitalität. Denn Max hat sich schon früh für den Einsatz digitaler Medien in der Schule eingesetzt und unter anderem das Fortbildner-Kollektiv www.tablet-teachers.com mitgegründet. Zum Thema „Lehren und Lernen mit mobilen Geräten“ gibt er regelmäßig Workshops für die aktuellen Stipendiatinnen und Stipendiaten des Studienkollegs.
Warum hast du dich für ein Lehramtsstudium entschieden? Und für welche Fächer?
Eigentlich wollte ich zum Kinderfernsehen und ein Medienschaffender werden. Doch dann kam mein erstes Praktikum an einer Schule und plötzlich fand ich mich mitten in einem Abenteuer wieder, das spannender war als jede TV-Produktion. Statt eine Kindersendung als Redakteur vorzubereiten, konnte ich täglich Wissen auf kreative Weise vermitteln, Unterrichtsstunden frei planen und diese dann mit einer Klasse lebendig in Ko-Präsenz gestalten. Da wusste ich: Hier habe ich mehr Freiheiten, als es mir das Fernsehen je bieten könnte. Der Lehrberuf ermöglicht mir, viele meiner Stärken und Persönlichkeitsfacetten einzubringen.
Ich habe Deutsch, Musik und Sport für das Lehramt an Realschulen (Sek I) studiert, ergänzt durch ein Zusatzstudium in Medienpädagogik. Mein zweites Staatsexamen habe ich dann gleich mit einem Promotionsaufbaustudium in diesem Bereich kombiniert. Bis letztes Jahr unterrichtete ich an der Realschule am Rennbuckel in Karlsruhe – eine Schule, die bereits 2014 den digitalen Aufbruch wagte und heute mit Auszeichnungen überhäuft wird.
Wo stehst du heute beruflich?
Im letzten Sommer habe ich die Seiten gewechselt – wortwörtlich! Ich promoviere jetzt als abgeordneter Lehrer an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe und der Uni Tübingen. Über ein Promotionskolleg des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg mit dem klangvollen Namen „AQUA-d“ (Aufgabenqualität in digital gestütztem Unterricht) habe ich eine neue berufliche Heimat gefunden.
Meine aktuelle Tätigkeit? Nun, ich führe ein Doppelleben als wissenschaftlicher Mitarbeiter: Einerseits lehre ich, gebe Vorlesungen und berate Studierende, andererseits promoviere ich fleißig. Mein Forschungsprojekt trägt den Titel „Digital Storytelling in multimodalen Schreibarrangements“. In einer Interventionsstudie untersuche ich, ob Methoden des digitalen Erzählens – zum Beispiel mit der App Book Creator – die narrative Textproduktionskompetenz von Schülerinnen und Schülern verbessern können. iPads sind inzwischen an vielen Schulen angekommen, aber ob sie im Deutschunterricht wirklich hilfreich sind, um das digitale Schreiben zu fördern, das ist die große Frage, die ich zu beantworten versuche.
Du hast früh begonnen, dich für digitalen Unterricht einzusetzen. Wo steht das Schulsystem im Bereich Digitalisierung heute? Welche besonderen Herausforderungen siehst du hier?
Ja, das stimmt. In den letzten Jahrzehnten haben sich die Konzepte der digitalen Bildung stetig weiterentwickelt – von den Anfängen der „Medienbildung“ und „Medienpädagogik“ bis hin zu den „21st Century Skills“ und der aktuellen „Kultur der Digitalität“. Diese Konzepte haben jeweils ihre eigenen Schwerpunkte, doch eines ist klar: Digitale Medien sind aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken und wer nicht lernt, mit ihnen umzugehen, riskiert, den Anschluss zu verlieren.
Ein Beispiel für den sinnvollen Einsatz von KI-gestützten Tools im Bildungsbereich sind Chatbots wie ChatGPT oder Perplexity. Diese Technologien haben bereits begonnen, die Art und Weise zu verändern, wie Schülerinnen und Schüler recherchieren und schreiben. Ein Verbot dieser Tools wäre weder praktikabel noch sinnvoll. Stattdessen sollten wir überlegen, wie wir diese Technologien methodisch und didaktisch in den Unterricht integrieren können.
Allerdings stehen wir in Europa vor einer großen Herausforderung: Wir haben kein eigenes Silicon Valley, keine zentrale Innovationsschmiede für technologischen Fortschritt. Dies bringt uns in eine schwierige Lage, in der wir zwischen etablierten, aber abhängigkeitserzeugenden Technologien und der vermeintlichen Sicherheit lokaler, oft weniger nutzerfreundlicher Alternativen wählen müssen. Diese Situation erfordert eine klare Strategie von Bundesländern, Regierungspräsidien und Schulen. Sollen wir auf deutsche Produkte und Open Educational Resources (OER) wie LibreOffice setzen, um langfristige Unabhängigkeit zu gewährleisten? Diese Entscheidung könnte uns davor bewahren, für Jahrzehnte von großen internationalen Konzernen abhängig zu sein und uns gleichzeitig helfen, die Anforderungen der DSGVO zu erfüllen. Allerdings könnte diese Strategie dazu führen, dass wir in Bezug auf Benutzerfreundlichkeit und technologische Innovation ins Hintertreffen geraten – ein Dilemma, das sorgfältig abgewogen werden muss.
Eine alternative Herangehensweise wäre, die Chancen internationaler Softwarelösungen zu nutzen – allerdings mit einem bewussten und reflektierten Ansatz. Der Einsatz von Plattformen wie Microsoft, Google oder Apple in Schulen muss gut durchdacht sein. Während es im Unternehmenskontext sinnvoll sein mag, Mitarbeitende an bestimmte Softwarelösungen zu binden, müssen wir im Schulkontext – vor allem angesichts der Schulpflicht und der Tatsache, dass wir es mit Minderjährigen zu tun haben – besonders vorsichtig vorgehen. Die frühe Bindung an bestimmte Marken oder Softwarelösungen sollte stets methodisch und didaktisch fundiert entschieden werden, um eine nachhaltige und faire Bildung zu gewährleisten. Darüber hinaus müssen wir sicherstellen, dass diese Lösungen den strengen Anforderungen der DSGVO entsprechen, um den Datenschutz und die Privatsphäre unserer Schülerinnen und Schüler zu schützen.
Leider erleben wir oft ideologische Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Lagern (OER versus Microsoft versus Apple), anstatt pragmatische Lösungen zu finden, die auf dem Prinzip der „Mehrsprachigkeit“ beruhen. Ich sehe hier ein großes Potenzial für die Zukunft, wenn wir Lehrkräfte dazu befähigen, die notwendige Mediennutzungskompetenz zu entwickeln, um je nach Unterrichtssituation die bestmögliche Softwarelösung auszuwählen – unabhängig von ihrer Herkunft. Gleichzeitig müssen wir intensiv darüber nachdenken, wie wir die Innovationsfähigkeit in Europa und insbesondere in Deutschland fördern können, um langfristig eigene, wettbewerbsfähige Alternativen zu entwickeln, die technologisch fortschrittlich, benutzerfreundlich und DSGVO-konform sind und so unsere Bildungslandschaft nachhaltig stärken.
Du hast die Tablet-Teachers mitgegründet? Wann war das? Kannst du uns mehr darüber erzählen?
Ja, das war 2013, als das Thema „Unterrichten mit Tablets“ noch völliges Neuland war. Damals fehlten im deutschsprachigen Raum nahezu vollständig didaktische und methodische Leitfäden für den Einsatz dieser neuen Technologie im Unterricht. Also haben wir nicht lange gefackelt und uns einem internationalen Forschungsprojekt zum Thema „Mobile Learning“ angeschlossen. Was wir in den folgenden Jahren von Schulen und Universitäten in Norwegen, Holland, Slowenien und England gelernt haben, war für uns revolutionär – darunter das iPAC-Framework, das bislang leider nur in die bayerische Lehrkräftefortbildung Einzug gefunden hat.
Die Nachfrage nach Hospitationen an unserer Schule stieg bald sprunghaft an. Um diesem Interesse gerecht zu werden und die offensichtliche Lücke in der Fortbildung zu schließen, gründeten wir das Fortbildner-Kollektiv Tablet-Teachers. Anfangs konzentrierten wir uns auf die Einführung in den Umgang mit Apps wie iMovie, Book Creator oder Greenscreen und stellten praktische Unterrichtsbeispiele vor. Doch schon bald erweiterten wir unser Angebot, um die Potenziale von Augmented Reality (AR), Virtual Reality (VR) und Gamification im Unterricht zu erforschen und zu lehren.
Heute werden wir vor allem von Stiftungen, Schulen und Bildungseinrichtungen angefragt, um Schulentwicklungsprozesse im Kontext des mobilen Lernens zu moderieren. Dabei geht es um weit mehr als nur Technik: Es geht um die umfassende Entwicklung von Unterricht, Personal, Prüfungsformaten und sogar um die architektonische Gestaltung von Schulgebäuden. Mit meiner Promotion beleuchte ich das Thema „Mobiles Lernen“ nun auch wissenschaftlich. Der erste Hype ist vorbei und jetzt ist es an der Zeit, die tatsächlichen Effekte auf Lehren und Lernen kritisch zu untersuchen und daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen. Denn das Tablet kann viel, aber es ist eben kein Allheilmittel.7
Welche Rolle spielt das sdw-Netzwerk bei der Gründung der Tablet-Teachers und generell für dich?
Mein Stipendium durch die sdw hat mich gelehrt, Verantwortung zu übernehmen und aktiv mitzugestalten. Workshops zu Themen wie Leadership oder Entrepreneurship habe ich sehr gerne besucht. Rückblickend kann ich sagen, dass ich ohne die sdw wahrscheinlich länger gebraucht hätte, um unbetretene Pfade zu gehen. Es ist eine Haltung, die man annimmt. Für mich bedeutet das bis heute: „Think big, keep it simple.“
Was waren die Highlights deiner Förderung?
Ein unvergessliches Highlight war meine Rede bei der Inauguration des zweiten Jahrgangs der Kollegiatinnen und Kollegiaten – direkt nach dem ehemaligen Ministerpräsidenten Lothar de Maizière. Morgens mit dem Flugzeug nach Berlin, abends zurück. Für einen damals 23-Jährigen fühlte sich das riesig an, fast weltmännisch. Diese Erfahrung hat mich nicht nur beruflich, sondern auch persönlich enorm geprägt. Heute, fast 20 Jahre später, bin ich 40 und schaue auf eine lange, fruchtbare Beziehung mit der sdw zurück. Die sdw hat mir auf meinem Lebensweg unzählige wertvolle Impulse gegeben.
Welche Erfahrungen oder Impulse bei der sdw haben dich geprägt? Was hilft dir bis heute?
Besonders prägend waren für mich Diskussionen über Themen wie z. B. Theodizee, Schulentwicklung oder Entrepreneurship. Diese Gespräche waren nicht nur intellektuell anregend, sondern sie haben mir auch eine neue Diskussionskultur eröffnet, bei der es nicht nur darum ging, Recht zu haben, sondern die Perspektiven anderer zu verstehen und gemeinsam zu wachsen. Diese Fähigkeit, offen und respektvoll über unterschiedliche Ansichten zu debattieren, hilft mir bis heute – sei es in akademischen Diskussionen, in meiner Lehre oder im alltäglichen Miteinander.
Ein weiterer wichtiger Impuls kam von einer Akademie zum Thema Interkulturalität und Mehrsprachigkeit. Dort wurde mir klar, dass die Forderung „Migrantinnen und Migranten sollten sich in Deutschland anpassen“ oft nur eine Seite der Medaille betrachtet und die Komplexität der Thematik nicht vollständig erfasst. Ich erkannte, dass Integration keine Einbahnstraße ist, sondern dass auch die Mehrheitsgesellschaft Offenheit und Anpassungsbereitschaft zeigen muss. Diese Erkenntnis hat meine Weltanschauung nachhaltig beeinflusst und prägt meinen Umgang mit Diversität und interkulturellen Themen bis heute.
Insgesamt denke ich mit großer Freude an viele spannende Persönlichkeiten und Gespräche zurück, die mich in meiner beruflichen und persönlichen Entwicklung maßgeblich geprägt haben.
Gibt es Erkenntnisse, Tipps oder erlernte Fähigkeiten, die du aus deiner Zeit im Studienkolleg mitgenommen hast?
Ja, definitiv. Das sdw-Netzwerk hat mir gezeigt, wie wichtig es ist, Verantwortung zu übernehmen und neue, innovative Wege zu gehen. Die Workshops haben mir die Werkzeuge dafür an die Hand gegeben.
Vervollständige bitte folgende Aussage: Ich bin bis heute mit der sdw verbunden, weil…
... ich das Netzwerk und den Austausch schätze.
Gibt es noch etwas, das du der sdw sagen möchtest?
Bringt den ersten Studienkollegs-Jahrgang noch einmal an einen gemeinsamen Ort für ein Wochenende zusammen und wir werden schon kurzfristig dicke Früchte ernten. Versprochen!
Das Studienkolleg ist ein Zusatzangebot für engagierte Lehramtsstudierende, das wir 2007 gemeinsam mit der Robert Bosch Stiftung ins Leben gerufen haben. Aktuell führen wir es in Kooperation mit der Robert Bosch Stiftung, der Dieter Schwarz Stiftung und der Heraeus Bildungsstiftung durch.