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sdWerte – Geförderte, Alumni, Mentorinnen & Mentoren zeigen Flagge

Neue Ideen für eine neue Zeit

Soziales Unternehmertum kann ein Weg sein, Herausforderungen der Zukunft zu bewältigen. In Deutschland wird sein Potenzial aber häufig verkannt, sagt sdw-Alumnus und Seriengründer Steffen Zoller. Der Text erschien im Jubiläumsmagazin „Chancen!“ der sdw.

Text: sdw-Alumnus Steffen Zoller

Die drei Megatrends Demografie, Fachkräftemangel und Digitalisierung begleiten Deutschland bereits seit den Nuller-Jahren. Dazu kommt, aus aktuellem Anlass, das Umweltbewusstsein. Nicht nur Deutschland, sondern ganz Europa steht angesichts dieser Megatrends vor einem Strukturwandel. Die Staaten, die Unternehmen und die Menschen müssen sich bewusst machen, dass herkömmliche, früher vielleicht erfolgreiche Lösungen die drängenden Probleme nicht allein lösen werden. Es geht jetzt darum, neue Wege zu finden – und zu beschreiten.

Vor allem im sozialen Bereich sind Innovationen nötig. Was der Bereich „Soziales“ umfasst? Eigentlich alles, wo Menschen involviert sind. Soziale Innovationen braucht es überall in Deutschland – und bei fast jedem Thema zwischen Geburt, Bildung, Gesundheit und Sozialsystem. Aus meiner langjährigen Erfahrung werden neue soziale Lösungen allerdings nicht durch öffentliche Institutionen getrieben, sondern durch neue Akteure und Querdenker, zum Beispiel die Sozialunternehmer*innen.

Ein sogenanntes Social Business aber wird in unserer sozialen Marktwirtschaft oft misstrauisch beäugt. Gründer*innen müssen sich dafür rechtfertigen und fragen lassen, warum sie dieses Modell gewählt haben – und erklären, dass sie nicht nur ein soziales Problem lösen wollen, sondern auch einen unternehmerischen Anspruch haben. Obwohl es kein Widerspruch ist, wenn sich soziale und geschäftliche Interessen vereinen. Eine professionelle, marktwirtschaftliche Herangehensweise an soziale Fragestellungen hat viele Vorteile. Sie zwingt Unternehmer*innen darüber nachzudenken, wie man Leistungen besser und günstiger erbringen kann, wie man effektiver wirtschaftet und sich neue Märkte erobert, um langfristig eine Rendite zu erwirtschaften.

Sozialunternehmen mit Sinn sind attraktiv für junge Nachwuchstalente
Ein weiterer Pluspunkt: Vor allem junge Fachkräfte finden Firmen mit klarem „Purpose“ attraktiv – der Begriff Purpose beschreibt in diesem Fall Sinn und Ziel eines Geschäftsmodells. In einem Sozial- unternehmen steckt viel Sinn. Und weil es die Notwendigkeit zur sozialen Innovation unternehmerisch umsetzt, verspricht es auch gute Chancen auf einen hohen Impact. In Deutschland und Europa gibt viele gute Beispiele, die die Idee des sozialen Unternehmertums illustrieren:

  • Social Impact Bonds (SIB): Sie sind vor allem in Großbritannien verbreitet. Das Modell: Vereinfacht beschrieben beauftragt der Staat einen privatunternehmerischen Dienstleister, der mithilfe von privaten Investoren soziale Leistungen erbringt, zum Beispiel in der Arbeitslosenhilfe oder dem Gesundheitswesen. Diese Leistungen können günstiger erbracht werden als vergleichbare staatliche Leistungen – und die Ersparnis teilen sich die beteiligten Parteien (Staat, Investor, Dienstleister).
  • Care.com/Betreut.de: Seit 2007 erleichtert die Online-Plattform den Zugang zu und die Auswahl von Betreuungsangeboten – von der Kinderbetreuung bis zur Hilfe für Familien und Senior*innen. Die Kombination von Technologie und sozialem Unternehmertum ermöglicht Millionen von Familien eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie, wenn sie ihre Kinder oder alten Eltern gut versorgt wissen – eine wirkungsvolle Maßnahme auch gegen den Fachkräftemangel. Care.com bietet mit Betreut.de das weltgrößte Netzwerk an.
  • voiio: Eine weitere sozialunternehmerische Innovation im Betreuungsbereich ist voiio, eine Online-Plattform für die betriebliche Ferienbetreuung von Kindern. Das qualitätsgeprüfte Angebot hilft Eltern, die 85 schulfreien Tage im Jahr besser mit dem eigenen Jahresurlaub zu vereinbaren. Unternehmen nutzen die betriebliche Ferienbetreuung als einfache Lösung, um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für ihre Mitarbeiter*innen zu verbessern und so attraktiver für Fachkräfte zu sein.
  • DCI Digital Career Institute: Bildung ist das Gold des 21. Jahrhunderts. Zugleich ändern sich Erwerbsbiografien durch die zunehmende Digitalisierung. Das DCI ist kein klassischer Bildungsträger für Erwachsene, sondern eine von Tech-Unternehmern gegründete Organisation, die ihre Curricula mit Vertretern der Digitalszene Deutschlands entwickelt. Dadurch werden die Absolvent*innen passgenau ausgebildet. Ursprünglich ist das DCI 2016 mit Devugees als Projekt für Geflüchtete entstanden, hat sich aber über die Zeit weiter geöffnet und steht inzwischen allen offen, die eine neue berufliche Perspektive im Bereich der digitalen Jobs suchen.
  • auticon: Menschen mit Behinderungen haben immer noch eine eingeschränkte berufliche Perspektive. Seit 2011 beschäftigt daher das IT-Unternehmen auticon ausschließlich Menschen mit Autismus. Viele von ihnen haben einzigartige kognitive Fähigkeiten und besondere Begabungen was Logik, Mustererkennung und Detailgenauigkeit betrifft. Sie werden gezielt dort eingesetzt, wo diese Fähigkeiten benötigt werden, zum Beispiel in Analyse, Qualitätssicherung und Entwicklung von Software. Ziel von auticon ist es, international so vielen Autist*innen wie möglich den Weg in den ersten Arbeitsmarkt zu ebnen.

Kapital, Ausbildung, Mentor*innen: Das Feld der sozialen Innovationen muss gestärkt werden

In Deutschland gibt es bislang nur wenige erfolgreiche soziale Innovationen. Wie lässt sich die Situation verbessern? Das Spektrum an Ursachen und möglichen Lösungen ist zu groß, um hier in Tiefe gewürdigt zu werden. Insgesamt müssen sich meiner Erfahrung nach die Rahmenbedingungen verbessern: So könnte zum Beispiel der Markt für Social Impact Bonds inhaltlich und finanziell stärker gefördert werden. Außerdem sollte der Zugang zu den angebotenen Leistungen für deren Empfänger*innen vereinfacht werden.

Gründer*innen eines Social Business brauchen zudem Vorbilder und Mentor*innen sowie eine fundierte betriebswirtschaftliche Ausbildung, eine Art „Social Business MBA“. Er sollte neben den Grundlagen der BWL auch die Themen Geschäftsmodellentwicklung, Finanzierungsoptionen, Sozial-Marketing, Impact-Berechnung und Fundraising-Strategien beinhalten. So könnten sich die sozialen Unternehmer*innen mit Bildung und Erfahrung wappnen – und die Erfolgswahrscheinlichkeit ihrer Ideen erhöhen. Oft fehlt es sozialen Innovationen an Finanzierung. Eine gute Kombination von Investment und Geschäftsverständnis bieten Social-Impact-Investoren wie Ananda Impact Ventures oder Bon-Venture. Sie unterstützen gegen eine Geschäftsbeteiligung Sozial-Innovationen beim Wachstum und der Professionalisierung.

Auch wenn verfügbares Kapital für den Social-Business-Bereich in den vergangenen Jahren gewachsen ist, bleibt der Anteil im Vergleich zum gesamten deutschen Risikokapital-Markt verschwindend gering. Impact-Investoren sind für Sozialunternehmer*innen der Treibstoff für ihre Motoren – sie machen die Skalierung einer sozialen Innovation erst möglich.

Der Autor

Steffen Zoller ist Seriengründer aus Leipzig und derzeit unter anderem Geschäftsführer des von ihm gegründeten DCI Digital Career Institute – Coding School Berlin, um beispielsweise Geflüchtete fit für Digitaljobs zu machen. Davor war er Geschäftsführer der kununu GmbH in Wien sowie der kununu engage GmbH und hat die Plattform Betreut.de ins Leben gerufen. Zoller ist Alumnus des Studienförderwerks Klaus Murmann der sdw.


Foto: privat