Narges ist 2015 mit ihrer Familie aus Afghanistan, über Russland und Norwegen nach Deutschland gekommen.
Sie wohnte die ersten eineinhalb Jahre in einer Notunterkunft in Berlin-Tempelhof, ohne Türen und eigenes Badezimmer. Darauf folgten fünf Jahre in einer Flüchtlingsunterkunft in Marzahn und nun lebt sie seit sechs Monaten mit ihrer Familie in einer eigenen (zeitlich begrenzten) Wohnung, organisiert von der Caritas. Narges konstatiert voll Dankbarkeit, dass diese schwierige Situation sie zu der Person gemacht hat, die sie heute ist. Hätte sie nicht diese Phasen im Leben gehabt, dann wäre sie wohl niemals so stark geworden.
Diese aus der Not gewonnene Stärke weiß Narges für sich zu nutzen und engagiert sich: 2017 durchlief sie eine Übungsleiterinnenausbildung als Sporttrainerin. In Afghanistan ist Sport nur für Männer und Jungs erlaubt: „Und immer waren es die Jungs, die draußen in den Straßen und im Park Fußball gespielt haben.“ Die Taliban sehen die Frau, die das Haus verlässt, als Gefahr an, so Narges. Die Frau muss zu Hause bleiben, darf nicht arbeiten, Sport treiben oder zur Schule gehen. Spielerinnen eines Volleyballteams ihrer Heimat seien umgebracht worden. In Deutschland ging Narges zum Bouldern oder Schwimmen. Es sei ein schönes Gefühl auf einmal eine vollkommen andere Rolle zu haben: „Auch als Mädchen oder Frau kannst du alles machen, das ist unglaublich.“
Mit Sorge beobachtet sie die Geschehnisse in ihrer Heimat: Letztes Jahr im August ist Afghanistan wieder in die Hände der Taliban gefallen. Narges fühlte sich überfordert und wie gelähmt und beschließt mit ihrem Lehrer zu sprechen. Gemeinsam rufen sie eine Spendenaktion für Afghanen in Not ins Leben. Stolz berichtet sie, dass am Ende 12.000 Euro über eine Spendenplattform gesammelt wurden. Damit habe sie nicht gerechnet.
Mit dem Geld ist es ihr unter anderem gelungen, eine Tante nach Deutschland zu holen, die aufgrund ihres politischen Engagements in Afghanistan in Gefahr war. Narges hat viele Politikerinnen und Politiker angesprochen: Olaf Scholz, Annalena Baerbock und viele weitere, doch niemand konnte ihr Antworten geben. Die einzige Antwort des Auswärtigen Amtes bleibt bis heute die Eingangsbestätigung Narges´ E-Mail.
Gemeinsam mit ihrem Lehrer ist es ihr gelungen, weitere Verwandte nach Deutschland zu holen. Nach unserem Gespräch hatte Narges einen ganz wichtigen Termin. Sie holte ihren Onkel, den sie zuletzt vor sieben Jahren gesehen hat, am Flughafen ab. Der ganze Prozess seiner Ausreise hat über ein Jahr gedauert.
Narges hat sich viel für ihre Angehörigen eingesetzt und war deshalb in er der 13. Klasse viel abgelenkt, weil sie mit ihren Gedanken woanders war. Während des Unterrichts hat sie immer wieder Anrufe erhalten, viele Gespräche mussten geführt und Behördengänge erledigt werden. Ihre Lehrer reagierten verständnisvoll, haben sie unterstützt und Versäumtes nach dem Unterricht erklärt.
An dem Tag, an dem die Ergebnisse der Abiturprüfungen genannt wurden, war Narges überrascht: Sie hat mit einem Gesamtnotendurchschnitt von 1.6 als Jahrgangsbeste ihr Abitur gemacht. Trotz der Schwierigkeiten, erklärt sie stolz.
Und jetzt? Als Kind wollte Narges Astronautin werden, dann Kamerafrau, später Politikerin und am Ende hat sie sich nun für Internationale Beziehungen entschieden.
Ihre Eltern haben keinen akademischen Hintergrund und konnten bei der Studienwahl keine Hilfestellung geben. Diese Aufgabe hat der Studienkompass übernommen, für den sie sich in der elften Klasse beworben hat. Narges hatte damals nicht damit gerechnet, als eine von 800 Bewerbern, für das Programm ausgewählt zu werden. Hätte sie die ganzen Workshops und Seminare nicht gehabt, wäre es viel schwieriger gewesen. Manchmal ruft sie spontan ihre Mentorin an, wenn sie zum Beispiel Fragen rund um die Uni hat. Das beruhige sie.