Vor fünf Jahren hast Du ehrenamtlich den „RefugeeGuide“ entwickelt. Was ist daraus geworden?
Wir waren vom Interesse an unserem RefugeeGuide überwältigt. Unterm Strich wurden über eine Million Exemplare gedruckt, unter anderem von der Bundeszentrale für politische Bildung und dem Klett-Verlag. Das hat sicherlich dazu beigetragen, dass die Bundesregierung den Bedarf für eine solche Orientierungshilfe schließlich ebenfalls erkannt hat. Nach unserem Vorbild hat das BAMF (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) dann die Ankommen-App entwickelt. Dafür haben wir dem Redaktionsteam der App die vielen Hinweise zur Verfügung gestellt, die wir zur inhaltlichen Erweiterung des RefugeeGuide erhalten hatten.
Mittlerweile arbeitest Du hauptberuflich bei den Vereinten Nationen und möchtest multilaterale Anstrengungen mit digitalen Technologien effektiver machen. Was dürfen wir uns darunter vorstellen?
Wie privatwirtschaftliche Unternehmungen und Behörden agieren auch die UN in einer sich ständig verändernden Umwelt. Dazu gehören neben politischen und ökologischen Dynamiken auch technische Neuerungen. Diese erlauben es uns bspw., schneller und maßgeschneiderter zu helfen, zeitgemäß mit der Öffentlichkeit und unseren Partnern zu kommunizieren und Routineaufgaben in der Verwaltung zu automatisieren. Ich sondiere gerade, wie wir digitale Zahlungsdienstleistungen integrieren können, um Geld an unsere Freiwilligen zu überweisen. Das ist vor allem dort wichtig, wo es keine oder kaum eine Bankeninfrastruktur gibt und Menschen stattdessen sogenannte mobile-payment-Services nutzen, wie z. B. in Kenia. Außerdem leite ich die Entwicklung und Einführung eines Partnermanagementsystems (CRM), das unsere Dokumente, Live-Statistiken, Kontaktlisten und Finanzdaten aus über 50 Büros an einem Ort zusammenzuführt.
Lässt sich ehrenamtliches Engagement – gerade in Zeiten von Corona – nachhaltig und dauerhaft digitalisieren?
Es gibt auf jeden Fall großes Potenzial für die Digitalisierung von sozialem Engagement. Unser Portal für digitale Freiwilligenarbeit, das ich als sogenannter Product Owner betreue, mobilisiert schon seit der Jahrtausendwende Menschen, die UN- und Nichtregierungsorganisationen ortsunabhängig vom eigenen Computer aus unterstützen. Gleichsam sind dem digitalen Engagement Grenzen gesetzt: Wenn der Zaun der Kindertagesstätte gestrichen werden soll, dann geht das nicht online. Allerdings bietet sich dann die Möglichkeit für hybride Freiwilligenarbeit, bei der ein Teil der Arbeit digital stattfindet, zum Beispiel die Koordination und der Einkauf der Farben, und ein anderer Teil offline, in diesem Fall das analoge Schwingen des Pinsels am KiTa-Zaun.
Dr. Michael Strautmann ist zurzeit als Digital Transformation Analyst für das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) tätig.