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„Ich bin halt so oft der Einzige...“

Studienförderwerks-Alumnus Simon Usifo über das Buchprojekt „People of Deutschland“ und sein Engagement gegen Alltagsrassismus.

Er hat schon viel von der Welt gesehen… So könnte man ein Porträt über Simon Usifo, Alumnus unseres Studienförderwerks, beginnen. Aufgewachsen im Rheinland, ging es später für den erfolgreichen Werbemanager nach London, Shanghai und Berlin. Mittlerweile ist er als President & Managing Director für das Europageschäft der international tätigen Agentur 72andSunny in Amsterdam tätig.

Viel häufiger als sein Blick auf die Welt beschäftigt Simon allerdings, wie die Welt ihn sieht: oft ein bisschen anders. „Dabei habe ich ja noch Glück“, sagt Simon mit einem etwas sarkastischen Unterton. „Ich bin als Sohn einer französischen Mutter und eines nigerianischen Vaters ja nur halb schwarz, spreche akzentfreies Deutsch und bewege mich in einem privilegierten Umfeld.“ Trotzdem kann er sich an zahlreiche Situationen erinnern, in denen er anders angeschaut, anders behandelt wurde als seine weißen Freunde. Sei es als Kind im Spielzeugladen, wo die Verkäuferin genauer aufpasst, ob man auch nichts klauen möchte, oder später an der Uni oder im Berufsleben. Manchmal ist es nur der ängstliche Blick der älteren Frau in der U-Bahn, die ihre Tasche noch etwas näher an sich heranzieht. Es gibt aber auch die ständigen Ausweiskontrollen oder auch offene Anfeindungen. Alltagsrassismus nennt man das. Etwas das selbst empathische weiße Menschen selten vollumfänglich nachvollziehen können.

Simon hat sich früher gar nicht so viel damit beschäftigt. Es war einfach Teil seines Lebens und es war ihm eher unangenehm die eigene Hautfarbe in den Vordergrund zu stellen. Doch in der Retrospektive merke man einfach, wie oft man nur aufgrund des Äußeren kriminalisiert wurde. Er habe stets viel Energie dafür aufgebracht sich anzupassen, besonders höflich zu sein, übermäßig freundlich, „überdeutsch“ – damit die Menschen bloß keinen schlechten Eindruck bekommen. Das war sein Weg damit umzugehen. Aber es war und ist ein anstrengender Weg und das Gefühl nicht einhundertprozentig dazu zu gehören bleibt immer. Das tue oft viel mehr weh als Anfeindungen von Leuten, die offen rassistisch sind. „Die Frage Woher kommst du? ist ja nicht das Problem. Die Problematik fängt an, wenn die Antwort Bonn für den Fragesteller nicht ausreichend ist. Man wird halt nie als so richtig deutsch angesehen. Das verletzt mich oft. Man muss sich erst hocharbeiten, um dort anzukommen, wo ein weißer Mensch schon per Geburt anfängt. Und wenn man dort ankommt, hat man bereits wahnsinnig viel Energie verbrannt.“

„Ich war so oft in meinem Leben die einzige Person of Colour oder zumindest immer in der absoluten Minderheit – in der Schule, an der Uni und später im Laufe meiner beruflichen Karriere. Bei einer renommierten Branchenveranstaltung mit lauter Menschen aus den Chefetagen der Werbebranche wurde ich mal für den Mann vom Catering gehalten – wahrscheinlich stand ich einfach zu nah am Buffett…“. Simon könnte von zahlreichen solcher Erlebnisse berichten.

„Es ist ja durchaus menschlich, dass man Vorurteile hat. Als ich nah China kam, habe ich auch immer von den Chinesen gesprochen, musste aber schnell feststellen, dass 1.4 Milliarden Menschen einfach sehr verschieden sind.“ Wir müssten uns hier gemeinsam weiterentwickeln. Selten helfe der erhobene Zeigefinger. Simon möchte seinen Einfluss nutzen, um aufzuklären, um Ignoranz entgegen zu treten. Bildung sei am Ende das einzige, was hilft. Auch um Debatten, wie die nach den Ausschreitungen in der Silvesternacht, differenziert zu führen und nicht alle Menschen mit Migrationshintergrund in eine Schublade zu stecken. „Das sind wahnsinnig anstrengende Debatten, aber ich versuche positive Energie daraus zu ziehen und diese in Engagement umzuwandeln.“

Für Simon lässt sich das Thema am besten über persönliche Geschichten und Erlebnisse greifen. Ein Grund für ein ganz besonderes Buchprojekt, das er in den letzten Monaten gemeinsam mit der deutsch-persischen Journalistin Martina Rink umgesetzt hat. In „People of Deutschland“ erzählen 45 Menschen ihre persönlichen Geschichten – über Rassismus, den sie im Alltag erlebt haben und erleben. Darunter sind Persönlichkeiten aus Kultur, Wirtschaft, Sport, Mode und Politik. Einblicke geben u.a. Prominente wie Joy Denalane, Eko Fresh, Mola Adebisi oder Nikeata Thompson, aber auch Serpil Temiz Unvar, die ihren Sohn Ferhat bei dem rassistischen Anschlag in Hanau 2020 verloren hat.

Simon und Martina haben diese Menschen getroffen und ihre Geschichten niedergeschrieben „Aus jedem Meeting bin ich energiegeladen rausgekommen. Es ist so ein gutes Gefühl, wenn man sich wahrgenommen und repräsentiert fühlt – und wenn man gemeinsam etwas auf die Beine stellen kann.“ Das Buch soll auch Optimismus verbreiten und zeigen, welche Bereicherung eine vielfältige Gesellschaft ist. Die persönlichen Geschichten berühren, unterhalten und regen zum Denken an. „Im besten Fall ermutigen sie auch Menschen, die bisher nicht mit Alltagsrassismus in Berührung gekommen sind zu mehr Zivilcourage“, so Simon. „Wir brauchen dringend mehr Verbündete!“

Diese Verbündeten findet Simon seit einigen Jahren bei German Dream, einer Bildungsinitiative, die von der Journalistin und Menschenrechtsaktivistin Düzen Tekkal gegründet wurde. Auch ihre Geschichte findet sich im Buch. Ein Teil des Reinerlöses wird an German Dream gespendet werden. Als Wertebotschafter der Initiative diskutiert Simon vor allem mit jungen Menschen über die aktive Mitgestaltung der Gesellschaft und unsere gemeinsamen Werte. Wichtig sei es, die Kultur zu verändern und präventiv zu arbeiten, damit Rassismus keinen Nährboden mehr hat.

Und Simons ganz persönlicher German Dream? Am besten wäre natürlich eine Welt, in der Antirassismusinitiativen völlig überflüssig sind. „Das wird aber sicherlich noch länger dauern, weil strukturelle Diskriminierungen oft tief verankert sind. Aber vielleicht können wir irgendwann erreichen, dass wir uns über das hinaus engagieren, was uns selbst betrifft. Das ist doch die Grundvoraussetzung für die Solidargemeinschaft. Wo Schwachstellen erkannt werden, sollten alle stützen.“

People of Deutschland, herausgegeben von Martina Rink und Simon Usifo, mit Porträtfotos von Sammy Hart, erscheint am 4. Februar und kann jetzt schon vorbestellt werden. Mehr über das Projekt und die Gastautorinnen und -autoren unter www.peopleofdeutschland.de.

Mehr über die wichtige Arbeit von German Dream gibt es unter www.germandream.de.


Porträtfoto Simon Usifo
Foto: Sammy Hart
Buchcover "People of Deutschland"